„Der spricht nicht von Liebe, sondern von Sehnsucht. Der spricht nicht von Zärtlichkeit, sondern von Trauer. Da ist einer tot, ehe er weiß, was er spricht.“ (Rainer Werner Fassbinder: „Ganz in Weiß“, Hörspiel 1968)
Unter den aktuellen Bedingungen müssen gewisse utopische Versprechungen von Pop nicht nur revidiert, sondern vielleicht auch mal kurz über Bord geworfen werden. Unter kontrollgesellschaftlichen Selbstoptimierungszwängen meint "Everybody can do it" (oder „Strike A Pose“) etwas gänzlich anderes als unter disziplinargesellschaftlichen Selbstermächtigungsoptionen.
Diesen radikalen Unterschied, diese alles durchdringende Verschiebung nicht mitzu(be)denken, gehört mit zu den Gründen wieso (nicht nur bei Pop) vermeintliche Lösungen eher zu den Problemen gehören (bzw. relativ schnell zu solchen werden).
Dabei war Pop ja quasi nie rein und unschuldig. Ganz im Gegenteil: Gerade die zum Prokonsumieren anregende und verleitende kulturindustrielle Gemachtheit garantierte, dass es mitunter anstrengender (und fruchtloser) war, sich von den Hinweisen auf die „obszönen Kerne“ von Pop (z.B. bei Adorno & Co) fernzuhalten als sich diesen Widersprüchen zu stellen (das Ekelhafte von Casting-Shows liegt in den ungeschminkten Youporn-Einblicken wie dieses Business schon immer funktioniert hat).
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RODEO 2020_Baustelle Utopia ist das neue Format des Tanz- und Theaterfestivals der Freien Szene der Stadt München.
RODEO 2020 ist ein Festival. RODEO 2020 ist auch ein Projekt. Als Festival findet es mit einem Programm vom 17. Oktober bis
1. November 2020 statt. Als Projekt wollen wir Stücke der Freien Tanz- und Theaterszene nicht an den üblichen Spielstätten zeigen, sondern noch unbekannte, ungewöhnliche Bühnenräume erschließen und die Produktionen in verschiedenen Münchner Stadtteilen inhaltlich und inszenatorisch neu verorten.
Damit wollen wir Menschen in der ganzen Stadt erreichen, künstlerische Impulse setzen, nachhaltige Verbindungen schaffen und Begenungen zwischen den Akteur*innen der Freien Szene und Bürger*innen ermöglichen.
RODEO 2020_Baustelle Utopia ist der künstlerische Beitrag zu politischen Themen der Stadt München.
Kunst muss sich mit den Fragen der Gegenwart auseinandersetzen, um relevant zu sein. Für uns stehen dabei Diversität, kulturelle Teilhabe, soziale Gerechtigkeit sowie die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus an oberster Stelle. Hier wollen wir Position beziehen. Die ausgewählten Produktionen werden deshalb nicht nur als Wiederaufnahmen präsentiert, sondern an neuen Orten und in neuen Zusammenhängen mit der Stadt und ihrer Gesellschaft verknüpft. Die Projekte (Tanz, Theater, Diskurs, Performance) schreiben sich in das Gewebe der Stadt ein und werfen Schlaglichter auf steigende Mietpreise, alltägliche Routinen oder auch politische Orte einer von Diversität geprägten Erinnerungskultur. Formate wie die Diskursreihe RODEO_Talkshow und der Open Call: "Das Leben. Gebrauchsanweisung"nach Georges Perec ergänzen die ausgewählten Stücke der Tanz- und Theaterszene der Stadt.
RODEO 2020_Baustelle Utopiaist die Schnittstelle von Kunst und Stadtgesellschaft.
Die Jubiläumsaugabe von RODEO will sich mit den Problemen, Werten und Visionen der postmodernen Stadt befassen. Was heißt Zusammenleben in urbanen Räumen? Wer weiß voneinander? Was bedeutet Zugehörigkeit? Ist die Stadt Heimat? Kann Stadt Heimat sein? Wie steht es um Zugänglichkeit? Welche Themen sind im Alltag der Stadt virulent? Welche Geschichten werden erzählt? Wer erzählt welche Geschichten? Was kommt zur Sprache? Was wird nicht besprochen? Wer spricht? Und wer wird nicht gehört? Was heißt Freiheit? Was heißt Teilhabe? Was heißt Demokratie? Und wo setzt Kunst an, die sich performativ, theatral oder installativ mit der Stadt und den Menschen, die in dieser Stadt leben, auseinandersetzt? Welche Kunst wird heute in München gemacht? Lassen sich die Baustellen der Stadt mit Utopien füllen?
Simone Egger, Karnik Gregorian, Bülent Kullukcu